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  • Writer's pictureChristof Zurschmitten

Am anderen Ende der Unschuld: Gus Van Sants "Paranoid Park" und die Todes-Trilogie

Updated: Feb 16, 2021


KRITIK von Gus Van Sants "Paranoid Park" und seiner Todes-Trilogie. Nach einem tödlichen Ausflug in die Wüste, einem High School-Massaker und dem Tod eines Rockstars wendet sich Gus van Sant in seinem neuesten Film der Skaterszene von Portland zu. Und schliesst damit (beinahe) nahtlos an seine elegische Trilogie über den Tod im Medienzeitalter an. Eigentlich schreibt das imaginäre „Handbuch des Journalisten“, irgendwo unter Paragraph 63c vermutlich, dem Kritiker ja die gesunde Distanz zu den Auswürfen der PR-Abteilungen vor. Manchmal jedoch gelingt es Letzteren derart perfekt, mit wenigen Worten so glücklich ins Herz der Wahrheit zu treffen, dass diese gleich an Ort und Stelle auf der Strecke bleibt. So geschehen bei Gus van Sants neuem Film „Paranoid Park“, dessen Plotzusammenfassung in der offiziellen Pressemappe ihrer messerscharfen Brillanz wegen in voller Länge zitiert werden soll: „Alex, a teenage skateboarder, accidentally kills a security guard in the vicinity of Paranoid Park, Portland’s tough street park. He decides to say nothing.“ Das ist alles. Spoiler bereits inklusive. Und der Rest der Seite: nur weisses Papier. Nun dauert der Film aber ganze 85 Minuten und holte sich zudem den diesjährigen Spezialpreis der Jury in Cannes und den Spitzenplatz der Jahrescharts in den „Cahiers du cinéma“. Was zum Teufel also passiert da die ganze Zeit über? Um diese Frage zu klären, heisst es zunächst ein wenig Anlauf holen, um im Eilverfahren durch die Karriere Gus van Sants zu zappen: Nach umjubelten Anfängen in der ebenso queeren wie originellen Independentszene mit Filmen wie „Mala Noche“ (1985) oder „My Own Private Idahoe“ (1991) legte er einen ausgedehnten und lukrativen Stopp in Mainstream-Hollywood ein. Dort liess er Ben Affleck und Matt Damon in „Good Will Hunting“ (1997) zum vorerst letzten Mal für Jahre wie ernstzunehmende Künstler aussehen, wiederholte dieselbe Geschichte eher erfolglos mit Sean Connery in „Finding Forrester“ (2000) und nahm dazwischen noch den Ausdruck „Remake“ dreister Weise beim Wort, als er Hitchcocks „Psycho“ (1998) Szene für Szene nachstellte. Und dann hatte Gus van Sant auf einmal keine Lust mehr, mit den Grossen mitzuspielen. Stattdessen kehrte er lieber in den kleinen kreativen Indie-Sandkasten zurück. Genauer gesagt: In die Wüste, wohin ihn Matt Damon und der mittlerweile ebenfalls zu längst überfälligem Ruhm gekommene Cassey Affleck begleiteten. Die Trilogie des mediatisierten Todes Der Film, den die drei mit einem kleinen Team drehten, heisst „Gerry“ (2002), und er hinterliess einen Gutteil der Kritiker und Zuschauer ratlos. Zwei Männer unternehmen einen Ausflug in die Wüste, verlaufen sich, leiden, und als der eine Tage später einen Weg hinausfindet, hat er seinen besten Freund hinter sich zurückgelassen – ermordet von eigener Hand. Der Plot ist angelehnt an eine wahre Geschichte, die sich im Sommer 1999 in den USA ereignete und medial bis auf die Eingeweide ausgeschlachtet wurde. Doch was man dabei verzweifelt gesucht hatte, fand sich nicht: Eine Erklärung dafür, warum ein Mann seinen besten Freund einfach so umbringen kann (seine eigene Antwort – aus Gnade – wollte man nicht gelten lassen). Auch Gus van Sants Film liefert die Erklärung nicht, will es auch nicht, er spekuliert nicht, er psychologisiert nicht, ja er erzählt nicht einmal. „Gerry“ zeigt, inspiriert vom amtierenden Grossmeister der cinematischen Langsamkeit, dem Ungarn Belà Tarr, bloss zwei Menschen, die nicht viel tun, ausser zu laufen und dabei dem Tod langsam näher rücken. Doch obwohl auf der Leinwand so gar nichts passiert, obwohl die Charaktere unbeschrieben bis zur Unkenntlichkeit bleiben, ist „Gerry“ beherrscht von einer latenten Spannung, die daher rührt, dass der fatale Ausgang der Geschichte jederzeit klar ist – den Massenmedien sei Dank. Van Sant setzte diese Strategie noch zweimal ein, in „Elephant“ (2003), in dem er auf das High School-Massaker in Littleton rekurriert, und in „Last Days“ (2005), in dem ein Rockstar, der nicht zufällig an Kurt Cobain erinnert, durch die so elegischen wie versifften letzten Tage seines Lebens taumelt. Alle drei Filme, die eine Art „Trilogie des mediatisierten Todes“ bilden, verzichten darauf, dem Tun ihrer Akteure auf den Grund zu gehen oder im gewohnten Sinn eine Geschichte zu erzählen. Die Trilogie zeigt nur, sie zeigt Körper, Gesichter, Räume, und sie tut es in einer Reinheit und Schönheit, einer Bedächtigkeit auch, die rar ist im Kino. Bringt der Zuschauer das entsprechende Talent zum Hinschauen mit, wird er mit Bildern von ungewohnter Kraft belohnt, die vor dem minutenlangen Blick bestehen können, ohne sich in Schnitte, Tempo, oder Effekte zu retten. Kreisen ums Unvermeidliche Um also auf die Ausgangsfrage zurück zu kommen: Auch in „Paranoid Park“, der lose anschliesst an diese Trilogie, passiert nicht viel. Nicht viel mehr an Handlung jedenfalls, als sich in zwei Sätze fassen liesse, siehe oben. Nun beinhalten diese Sätze aber abermals den Tod, und damit ein Ereignis, das ohnehin gewaltig genug ist, um das Leben eines Teenagers mehr zu verstören, als es in 85 Minuten darstellbar wäre. Van Sant ist es denn auch genug, jenseits von Ergründungen oder Erlösungen einen Menschen zu zeigen, der, selbst noch etwas tapsig im Leben stehend, plötzlich mit dessen Ende in seiner brutalsten Form konfrontiert wird. Und zugleich den richtig grossen Fragen, wie der nach Schuld und Sühne (der Film kann als sehr lose Variation von Dostojewskis Epochalroman verstanden werden), der nach dem Alleinsein unter Menschen, und der Last des Schweigens. Verstört aber kann letztlich nur werden, was einmal in Ordnung war. Und so nimmt sich „Paranoid Park“ auch Zeit dafür, das Leben seines Protagonisten um den tragischen Unfall herum auszuleuchten. Alex (Gabe Nevins) lebt eine eher unspektakuläre Teenager-Existenz, in der die Schule ein notwendiges Übel ist, die Mädchen manchmal verwirrend reif, die Eltern immer etwas zu besorgt, und eine Party noch ein Abenteuer. Eine Existenz mit einem klaren Mittelpunkt zumindest: Skateboarden. Alex und seine Freunde sind zwar mit Leib und Seele ihren Decks verfallen, aber doch zu jung, zu wenig skilled, um wirklich zur Szene zu gehören. Und so werden die Trips zum örtlichen „Paranoid Park“ (eine Krater-Landschaft aus Beton, die von Skatern wie Junkies gleichermassen als Heimstatt akzeptiert wird) zum Ausflug ins Nirwana, zur Stätte der Fraternisierung mit den Älteren und Bewunderten, aber immer auch zur Bewährungsprobe. Und irgendwann auch zum Ort des Sündenfalls. Irgendwann? Irgendwann. Denn der Sündenfall steht vielleicht thematisch, aber nicht chronologisch im Zentrum von „Paranoid Park“.

Der vierte Film erinnert nicht nur aus diesem Grund deutlich an „Elephant“, den Mittelteil der Trilogie. Wie dort die Handlung in immer neuen Schleifen auf das unvermeidliche Highschool-Massaker zulief, das dann doch immer wieder vor dem Auge des Zuschauers fern gehalten wurde, so wird auch die Geschichte in „Paranoid Park“ alles andere als geradlinig erzählt. Szenen werden ein erstes Mal scheinbar wahllos abgespult, verwirren, und tauchen an späterer Stelle erneut auf, mit leicht verschobener Perspektive. Manchmal findet die Perspektivenverschiebung auch nur im Kopf des Zuschauers statt, der beim zweiten Mal versteht, was beim ersten Mal noch völlig im Dunkeln lag. Und so ist auch der Tod dann irgendwann plötzlich da, obwohl man geglaubt hat, ihn längst kommen zu sehen. Abgeblendete Authentizität Überhaupt, das Sehen: „Paranoid Park“ ist erneut ein Film für das Auge. Es gibt vermutlich keinen anderen Filmemacher, der junge Männer (andere Hauptakteure gibt es bei ihm nicht) so anmutig und zugleich realitätsnah in Szene setzt wie Gus van Sant. Daran hat sich auch in „Paranoid Park“ nichts geändert. Wieder laufen sie, blicken, sagen nicht viel, und doch sprechen ihre Gesichter und Körper dabei Bände. Van Sant beherrscht das Kunststück, sich nur auf die Oberflächen zu konzentrieren, und dabei doch mehr vom Innern seiner Charaktere zu zeigen, als es Legionen gut gemeinter Teenager-Dramoletten je gelingen wird. Ein Grund dafür sind einmal mehr auch die Schauspieler. Für „Paranoid Park“ wurden sie von der Strasse weg gecastet, sie sind zum Teil also tatsächlich, was sie spielen. Und das tut dem Film gut. Denn dadurch gelingt es van Sant und seiner Crew, bei aller Arthouse-Lastigkeit der filmischen Mittel immer noch den Anschein des Authentischen aufrecht zu erhalten. Ein reiner Widerschein, darauf ist zu bestehen, auch wenn manche Kritiker angesichts des Umstands, dass einige der Schauspieler über eine Myspace-Seite gefunden wurden, bereits von Authentizität jubelten. Die Lage ist in „Paranoid Park“ aber komplizierter: er will nicht einfach authentisch sein. Dass er dabei trotzdem der Realität gerecht wird, ist kein Widerspruch, sondern eine Leistung. Die Geschichte beruht schliesslich nicht auf einer wahren Begebenheiten, sondern einer Jugendbuch-Vorlage desselben Titels von Blake Nelson. Oder der Soundtrack, jene abenteuerliche Mischung aus Indie-Legenden wie Eliot Smith und Fellini-Scores: er wird sich auf keinem Ipod eines 16-Jährigen anno 2007 finden lassen. „Paranoid Park“ versucht nicht, die „Realität“ eines Teenager-Lebens nachzustellen, sondern Symbole dafür zu finden, die nicht zwangsläufig der Erfahrungswelt eines Jugendlichen entspringen müssen – aber nichtsdestoweniger meistens extrem angemessen sind. Case in point: kein Regisseur, dem an Authentizität gelegen ist, würde auf die Idee kommen, ausgerechnet Christopher Doyle als Kameramann anzuheuern. Doyle, bekannt für seine hyper-stilisierten Einstellungen in den Filmen Wong Kar-Wais oder Zhang Yimous („Hero“), mag ein begnadeter Ästhet sein, dem aber nicht eben an realitätsnahen Bildern gelegen ist. Für Gus van Sant hat er verschiedene Formate, Techniken, Geschwindigkeiten zusammengerauft: Wir sehen Alex frontal in Super-Zeitlupe durch die Schulkorridore laufen, wir folgen ihm dicht auf den Fersen, wenn er sich rollend und schlurfend durch seine Welt bewegt. Und wir sehen ihm dabei zu, wie er am Rand des Skateparks träumend zusieht, wenn die Skater sich beinahe schwebend vor der Kamera bewegen, meistens festgehalten in grobkörnigen Handkamera- oder 8mm-Bildern. Nie ist „Paranoid Park“ weiter entfernt von jeglicher Realität als in diesen Aufnahmen, die, verglichen mit der Ruppigkeit, Härte und Geschwindigkeit „authentischer“ Skatevideos, geradezu einlullend und verfehlt wirken. Eine kurze Sequenz am Schluss macht dies überdeutlich, kaum eine Minute, in der den Schauspielern die Kamera selbst in die Hand gedrückt wurde. Sie tun nicht mehr damit, als sich selbst zu filmen. Beim Skaten. Beim Sichselbersein. Irgendwo im Niemandsland einiger Jahre, in denen das noch alles ist, was von ihnen erwartet wird. Eine Sequenz, beglückend, irgendwie, aber ebenso bedrückend im Wissen darum, was kommen wird. Das Paradies, vor dem Verlust der Unschuld. Davon erzählt „Paranoid Park“. 85 Minuten lang. Und braucht dazu nicht mehr und nicht weniger als eine Reihe von Bildern, in denen ganze Leben stecken.

 

Dieser Text erschien ursprünglich bei nahaufnahmen.ch.

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