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  • Writer's pictureChristof Zurschmitten

1 Mann, 2 Kubikmeter Beton & 1 raues Erwachen: Shinya Tsukamotos "Haze"

Updated: Feb 16, 2021


KRITIK von Shinya Tsukamotos „Haze“. Und irgendwo auch eine Einführung in meinen Respekt vor dem Regisseur, den ich einmal einen der konsequentesten und originellsten unserer Zeit nannte. Shinya Tsukamoto wird Zeit seines Schaffens der Regisseur von „Tetsuo“ bleiben. In seiner ersten Schöpfung pulsierte im Rhythmus stampfender Maschinenkolben ein dunkles Herz, mächtig genug, um das gesamte japanische Filmschaffen neu anzutreiben. So jedenfalls will es die Geschichtsschreibung, die festhält: Anno 1989 war die Filmnation Japan nur noch als Schatten ihrer einstigen Grösse im internationalen Gedächtnis präsent, nachdem das Studiosystem implodiert war und die ehemals ruhmreichen Riesen Daiei, Nikkatsu und Toho dem Untergang entgegen siechten. Tsukamotos schwarz-weisser Bastard aus kaltem Stahl und schwärenden Fleischwunden wirkte wie die unheilige Verkörperung dieser apokalyptischen Stimmung, ein Geist, der stets das Böse repräsentierte und doch Gutes schaffte: Er bohrte sich und einer neuen Generation japanischer Filmemacher einen Weg in das Bewusstsein der (inter-)nationalen Zuschauer, die ihn am Fantafestival von Venedig prämierten und im Folgenden zum Kult erhoben. Eine surreal anmutende Erfolgsgeschichte für einen kaum 70 Minuten langen, auf 16mm gedrehten Independent-Film, der eine Handlung nur sehr vage, seine Wurzeln im experimentellen Theater aber äusserst klar erkennen lässt. Wer den Film gesehen hat, versteht diese Reaktion jedoch nicht nur instinktiv, sondern gewissermassen tiefenneuronal: „Tetsuos“ Mischung aus überstilisierten Alptraum-Bilderfolgen, zuckelnden Stakkatoschnitten, evokativen Kamerawinkeln, Stopmotion-Mutationen, gellenden Soundeffekten und hämmernder Industrial-Musik ist bis heute unausweichlich verstörend. Cyberpunk mag im 21. Jahrhundert nur noch wie ein Hypebegriff aus altvorderen Zeiten klingen – Tsukamotos Film über einen Mann, der zur Maschine wird, hat sich schlicht jedem Alterungsprozess widersetzt. Der Körper und die Stadt Ein früher Erfolg wie dieser könnte einen Regisseur lähmen oder ihn aus Trotz neue Wege einschlagen lassen; Tsukamoto jedoch zeigte sich unbeeindruckt und machte schlicht und einfach – weiter. Tatsächlich lässt sich kaum ein Erstlingsfilm erinnern, in dem Arbeitsmethoden (Tsukamoto amtet in der Regel als Drehbuchschreiber, Kameramann, Regisseur, Produzent und oft auch als Darsteller), Stil, Stimmung und dominante Themen einer gesamten Karriere bereits ähnlich vollständig entwickelt waren. Insofern, und nur insofern bleibt Tsukamoto durchaus bereitwillig der Regisseur von „Tetsuo“ (dessen dritter Teil 20 Jahre nach dem ersten gerade fertig gestellt wurde), ohne dass sich seine Karriere darauf reduzieren liesse. Seine Treue zum eigenen Werk ist kein Anzeichen von Stillstand, sondern früher Reife; Tuskamoto sieht keinen Zweck in der Neuerfindung seiner Positionen, wo er auch eine ständige Aktualisierung seiner bereits in „Tetsuo“ angelegten Interessen und Mittel betreiben kann.

Das ist manchmal offensichtlich, wie im Pseudo-Remake „Tetsuo: Body Hammer“ (1992) oder dem Box-Film „Tokyo Fist“ (1995), unter dessen realistischem Szenario dieselbe Mutationslust lauerte wie je. Gelegentlich mögen sich dagegen die Produktionsbedingungen ändern vom ultra-unabhängigen zum Auftragsfilmen, wie etwa in „Hiruko The Goblin“ (1991) oder jüngst den „Nightmare Detective“-Filmen. Und gelegentlich scheint auch das Szenario frappant wenig mit den Cyberpunk-Anfängen zu tun zu haben, wie in der weiblichen Selbstermächtungs-Fabel „A Snake of June“ (2002) oder dem morbid-bizzaren Liebesdrama „Vital“ (2004). Doch immer gelingt es Tsukamoto, seine bevorzugten Themen und Stilmittel einzubringen – nötigenfalls subtil: Der Mensch gegen seine urbane Umgebung, die Veränderung als Hoffnung und Bedrohung sowie die Faszination für den Körper, die vom beobachtenden Realismus übergangslos abgleitet in fetischierenden Hyper- oder Surrealismus. Das Labyrinth und das Wieso „Haze“ stellte dennoch eine Überraschung dar innerhalb der wie aus einem Guss gefertigten Karriere Tsukamotos: Nach einer Dekade zunehmender Distanz zu den surrealen Anfängen war hier anno 2005 wieder ein Film, der unverkennbar zurück auf Start wollte: „Haze“ ist nicht einmal 50 Minuten lang und denkbar independent- unabhängiger denn je, profitiert Tsukamoto doch von allen (monetären, räumlichen, konzeptuellen) Freiheiten, die mit dem digitalen Filmen einhergehen. Und „Haze“ ist zutiefst allegorisch – man beachte das eingeklammerte Gore, das Tsukamoto erneut nutzt, um körperliche Extremzustände auch für den Zuschauer körperlich erfahrbar zu machen. „Haze“ ist ein klaustrophobisches Ungeheuer, voll und ganz auf Zerstörung gepolt, von Organen und Körpern, von Identitäten und Geschichten, von Gewohnheiten und Erwartungen.

Die Nicht-Geschichte dazu ist rasch erzählt: Ein Mann (Tsukamoto selbst) erwacht. Er erinnert sich an nichts, aber er spürt Schmerz, er sieht um sich und sieht nichts als Beton, er ist gefangen, und er will sich befreien. Doch in einem Raum, der kaum Platz zum Atmen und noch weniger zum Bewegen lässt, bedeutet jedes Vorwärtskommen zwangsläufig weiteren Schmerz – man war sich der unerbittlichen Rauheit von Beton selten bewusster als beim Ansehen dieses Films. Und Beton ist nicht genug. Hinter jedem zweiten Schritt lauern Spitzen, Zacken, Klingen, Messer, Sägen, Hämmer, und überall und nirgendwo, natürlich der Urschrecken selbst: Das Ungewisse.

Tsukamoto hat genug Erfahrung in der Inszenierung von schadhaften Körpern, um im Ultra-Expliziten nur eine Methode unter vielen zu sehen. Immer noch ist das Sounddesign, die Musik, der Schnitt entscheidender: This ain’t no torture porn. Im Gegensatz zu Eli Roth und Co. hat Tsukamoto nicht nur Ideen, sondern eine Vision, und ein Endziel, das sich nicht in drastischer Effizienz erschöpft. Eher schafft er eine Art Neuformulierung des kanadischen Indie-Hits „Cube“ (1997), die im Gegensatz zu diesem weiss, wenn auch in der erdrückenden Enge Freiräume gelassen werden sollten: Der Mann trifft auf eine Frau (Kaori Fujii), sie reden, aber sie können sich ihre Lage nicht erklären. Selbstverständlich – Tsukamoto hat mit „Haze“ keinen Sci-Fi-Streifen geschaffen, sondern eine Allegorie, deren Wert sich bekanntlich nicht an dem bemisst, worauf sie eindeutig verweist, sondern an dem, worauf sie plausiblerweise verweisen könnte. Einige Deutungen werden nahe gelegt, keine aufgezwungen – zwingend, und zwar überaus, ist in Shinya Tsukamotos Universum einzig und allein die Teilhabe an der schmerzhaften Verwandlung der Körper der Protagonisten. Eine Verwandlung, an deren Ende alles stehen kann – manchmal sogar Hoffnung.

 

Dieser Text erschien ursprünglich auf nahaufnahmen.ch. Auf nahaufnahmen findet man aber auch den Beweis dafür, dass mein Respekt vor Tsukamoto nicht grenzenlos ist.

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