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  • Writer's pictureChristof Zurschmitten

Kein Verstecken, kein Davonrennen: Shuhei Moritas und Daisuke Sajikis "Kakurenbo"

Updated: Feb 16, 2021


KRITIK von Shuhei Moritas und Daisuke Sajikis erstaunlichem DIY-Anime. Acht Kinder verlieren sich beim Spiel in den Eingeweiden eines verlassenen Stadtteils. „Kakurenbo“ bedient sich zu gleichen Teilen bei japanischen Märchen, urbanen Distopien und dem Horror-Genre, um dem Zuschauer eine halbstündige Lektion im Unheimlichen zu erteilen. Dieses Versteck-Spiel? Eine psychologische Splitterbombe erster Güte. Das reinste Kinderspiel? Natürlich! Lehrt es den stummelbeinigen Erdbewohner doch more Lektionen fürs Leben: Dass mit dem Verschliessen der eigenen Augen vor dem Grauen noch rein gar nichts gewonnen ist, zum Einen. Zum anderen den suizidären Leitgedanken, dass man, wenn das schon so ist, genausogut der Gefahr im vollen Lauf entgegenrennen kann. Das Versteck-Spiel bereitet uns also nicht nur vor auf Karrieren als Evil Knevil-Wiedergänger oder jenen verzweifelten Moment beim Anbruch der Sperrstunde, der endgültig über die Bettenbelegung der Nacht entscheidet. Es ist auch eine frühe Auseinandersetzung mit der Fiktion des Horror-Genres und der an den Rand der Zivilisation verdrängten Realität, dass man gelegentlich auch als letztes Glied der Nahrungskette Beute statt Jäger sein kann. Der japanische Zeichentrickfilm „Kakurenbo“ weiss all dies und verschmilzt es zu einem kompakten Film, der Erklärungen und langfädige Handlungsstränge suspendiert zugunsten von omnipräsenten Ahnungen und Erinnerungen. Wenn, so heisst es am Anfang in aller Kürze, sieben Kinder ihre Gesichter hinter Masken verborgen haben und ihren Weg in ein verfallenes Viertel am Zentrum einer unbeschriebenen japanischen Metropole finden, dann beginnt das Spektakel: ein Versteck-Spiel auf Leben und Tod, gespielt um des Spielens willen. Vom Gewinner spricht hier niemand, die Verlierer aber verschwinden spurlos. „Kakurenbo“ inszeniert den Wettlauf der Kinder im charakteristischen Rhythmus des Versteckspiels, immer intensiv, im scharfen Wechsel von Perioden angespannten Lauerns und Adrenalinexplosionen im manischen Wettläufen zum Schlagmal – ein Rhythmus, der natürlich zugleich der des Horror-Films ist.

Der Horror ist in diesem Anime ohnehin nie weit, und auch er rührt an Urtümliches und Unbewusstes – zumal der Mythos bereits im Wortsinn steckt: Im Japanischen lautet der Begriff für spurloses Verschwinden ‚Kamikakushi‘, wörtlich „versteckt werden durch einen Gott“. Der Name des Fangen-Spiels, der aktiven Kehrseite des Versteckens also, lautet dagegen ‚Onigokko‘ – ein Wort, das mit ‚Oni‘ wortwörtlich den Dämon im Leib trägt. Und so beschwört „Kakurenbo“ auch die fremde, doch im Archetypischen vage vertraute Welt der japanischen Mythologie herauf, die etwa auch Myazakis „Spirited Away“ so endlos faszinierend machte. Wo die Dämonen und Götter dort aber in altertümlichen Bauten konserviert wurden, ist die Architektur in „Kakurenbo“ schon fast post-urban: Inspiriert von den pathologischsten Auswüchsen des modernen Städtebaus wie der Kowloon Walled City in Hongkong, ist die Stätte des Versteckens ein Ort, der letztlich alle Versuche der Kinder, ihn sich im Spiel anzueignen, ins Leere laufen lassen muss. Das Verschweissen von Ur-Mythischem und Hyper-Modernem gelingt auf der visuellen Ebene nahtlos. Dies ist umso bemerkenswerter, als „Kakurenbo“ durch und durch eine Independent-Produktion ist, im Kern das Werk zweier Personen: Des Regisseurs, Drehbuchautors und Produzenten Shuuhei Morita und des Zeichners Daisuke Sajiki. (Reiji Kitasato steuerte erst in einer späteren Phase die äusserst eindringliche Klangspur bei.) Dem Film selbst sieht man dies kaum an: Die Charaktere sind trotz ihrer durch die Maske behinderten Mimik ausdrucksstark, die Hintergründe strotzen vor Details, die Farb- und Lichtgebung sind atmosphärisch und die Animationen sind beinahe immer flüssig – „Kakurenbo“ sieht weit besser aus, als man es für möglich halten sollte. Ermöglicht wurde das gesamte Projekt durch Cel Shading: Sajikis Entwürfe wurden von Morita in 3D-Modelle umgesetzt, die anschliessend im Zusammenspiel der beiden koloriert und gerendert wurden. Das Ergebnis hat allerdings nicht von der detailarmen Flachheit, die dieser Prozess im schlimmsten Fall produzieren kann – im Gegenteil: „Kakurenbo“ zeichnet eine Welt zwischen einer für die Kindheit verlorenen Zukunft und einer unbestimmten Vergangenheit, eine Welt zwischen Technologie und Handwerk – eine Welt, in der man sich verlieren kann, bevor man 25 Minuten später noch etwas ausser Atem und klamm wieder vor dem Fernseher ausgespuckt wird.

 

Dieser Text erschien ursprünglich auf nahaufnahmen.ch. Dort findet sich auch eine Kritik zu "Short Peace", einem Omnibus-Projekt, zu dem Shuuhei Morita den oscarnomierten Kurzfilm "Possessions" beigesteuert hat.

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