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  • Writer's pictureChristof Zurschmitten

Zumindest eine Ahnung

Updated: Feb 16, 2021


SKIZZE der Stimmung auf dem Vorplatz des Besucherzentrums im Seoroksan-Nationalpark, irgendwo zwischen religiöser und nostalgischer Sehnsucht.

Beim Überqueren dieser Brücke: Atmosphäre, dicht, greifbar, von A. treffend beschrieben als "Perfekt für einen Film von Wong Kar-wai."

Die künstliche Beleuchtung, aufdringlich auffällig selbst im abgeschalteten Zustand... kein Neon, zwar, sondern Lichterketten, mehr Tiki-Party im Hinterhof als Vegas oder Hongkong, aber von jener präzisen Verbrauchtheit, die sich an Orten wie diesem nie überleben kann & damit nie aus der Zeit fallen wird. (Wo Licht ist, ist Leben, und wo Leben ist, so die Logik dieser Orte, da ist immer auch: Geld. Dieses Verständnis spricht aus jeder einzelnen aufgereihten Glühbirne hier.)

Und darüber schwebt, um das Wong-Hafte noch verstärken, Popmusik. Aus einer Ära, in der Eleganz das prägende Ideal war, vor Aufmerksamkeit, vor Sex. (Auch dies: nicht unzeitgemäss, nicht überlebt. Nicht an solchen Orten, nicht in solchen Momenten.) Etwas vage Rat Pack-Haftes, ein Hauch von Glamour & einer Goldenen Zeit, die nur die wenigsten datieren könnten, aber alle wiedererkennen. Ob es sich dabei um ein Original handelt oder eine jener Aneignungen in der lokalen Sprache, die so gerne in Wongs Filmen verwendet werden, ist so schwer zu entscheiden, wie es letztlich unerheblich ist.

All dies als Rahmen, der ausgefüllt ist von… Langeweile, Behäbigkeit, Unzeit-Müdigkeit und Unentschlossenheit, die hier nur umso deutlicher hervortreten, als diese Kulisse das Gegenteil von Langeweile darstellen und bewirken möchte. (Dabei ist nichts hier wirklich aufregend, die Buden, Restaurants, wollen auch ihrerseits nicht viel, ausser eben: einen Deut Aufmerksamkeit.)

Als Verkörperung dieser toten Zeit (weit hinter dem Mittag, zu weit vor dem Abendessen) steht dort ein Mann, um die 50, mit Bürstenschnitt und einem Gesicht wie einer verblichenen Aufnahme von Essen in der Auslage eines Restaurants. Er sitzt neben einer mobilen Eistheke, liest, als wolle er das Zeitlose der Szene unterstreichen, in einem Buch satt auf einem Smartphone, und schaut mit jahrzehntealter Gewohnheit kurz auf, als er unser Nicht-Koreanisch hört, und wieder weg, als er unsere Beiläufigkeit registriert. Hinter ihm im Haus durch eine grossformatige Scheibe sichtbar (von A., nicht mir, ich bin zerstreut) eine Frau, seine vermutlich, die Essen zubereitet.

Der Rest sind offene Plätze, asphaltiert und zu ausgedehnt, um der Eingang eines Nationalparks zu sein, leergefegt von den Nachmittagsstunden, Parkplätze und Picknickplätze, in Sand und Kies und Beton gefasst umringen sie einige Bäume, Sträucher und andere Inseln verfehlter Geschäftigkeit. Nichts ist abgestorbener als Nicht-Orte, die Leben kanalisieren, herbeiholen, bündeln sollen, nachdem alles Leben aus ihnen gewichen ist. Sie sind nicht zwecklos, aber verfehlt in ihrem Dasein, obsolet auf Zeit.

Das Wetter, ein zögerlicher Vor-Regen-Nachmittag, verstärkt den Eindruck der Hilflosigkeit, als wäre die gesamte Gegend erstarrt in einem einzigen eingefrorenen Stirnrunzeln, einem überdimensionierten Schulterzucken.

(Die Parkplätze, die verfrühten Lichter aus dem flachgedrückten Hotelbau, die nahtlos bewachsenen Berge, die all dies einschliessen und mit ihrer Überfülle an Vitalität zu verspotten scheinen, sie alle geben mir das Gefühl, angenehm verloren zu sein.)

Und in diese Szene wächst plötzlich das Klängeln einer Glocke hinein, formlos anmutend für meine Ohren, ortlos, bescheiden in ihrem geduckten Schepperton. Als wir endlich verstehen (A. erneut vor mir, ich bin noch immer langsam), dass es zu einem Gebet gehört – einem ungleich intimeren, als es das brausende Schallen der Katholikenglocke ankündigt – ist der Moment, die Atmosphäre, beinahe überspannt in ihrem Reichtum. Und als wir einige Schritte weiter, in einem totgeglaubten Ort die Statue des Buddhas sehen, sein Kopf im Profil, mit einer Krähe im Haar (ihr Krächzen festgekrallt im Läuten der Glocke und dem Hall des Gesangs eines einzelnen Mönches), da haben wir plötzlich eine Ahnung davon, was Glauben bedeuten könnte, mehr, als wir es in vielen Jahren taten.

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