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  • Writer's pictureChristof Zurschmitten

Newtons überforderte Kinder: Slapstick im Computerspiel

Updated: Feb 16, 2021


ESSAY In dem ich argumentiere, dass Slapstick die Ultima Ratio des Humors in Computerspielen ist. Das Weiterkommen ist kein Problem. Das Runter- und wieder Hochkommen dagegen ist eine völlig andere Geschichte … Keine, die in der Welt der Videospiele oft erzählt würde. Es ist eine Welt der Hyper-Kinetik, in der die mühelose Überwindung fataler Abgründe den Regel- und der Sturz aufs Maul den Todesfall bedeutet. Eine Welt der Eleganz, des Agilen und Kraftvollen, eine Welt voller Hasardeure, Athleten und Helden. Eine Welt, so versessen auf die unausgesetzte Demonstration des spektakulären Gelingens, dass ihr eines nie in den Sinn kommen würde: Zum Scheitern zu stehen. Oder es sogar mit Humor zu nehmen. Überhaupt: Das Computerspiel und der Humor. Viel wurde geschrieben über die Behinderung des bierernsten Mediums, das mühelos jede körperliche Reaktion auslösen kann – Adrenalinschübe, Erektionen, Tränenschwalle, ADRENALINSCHÜBE! –, nur nicht jenes vermaledeite Zucken der Mundwinkel. Gern wird das Problem zur medialen Mangelerscheinung ernannt: Der Film, gewiss, der TV, natürlich, ja selbst die Literatur, die haben es leicht! Das GeeMag zitiert die Bonner Medienwissenschaftlerin Cara Thimm mit den Worten, genau hier, im Wort nämlich, liege der Hund begraben – wahrhaft erhabener Humor sei stets Sprachwitz gewesen, und genau getimed noch obendrein. Aber da der Spieler, jener hyperaktive Hallodri, sich weigere, dem Witz zuliebe stillzustehen, verfehle ihn die Punchline mal um mal. Das Computerspiel – verdammt zu Ernsthaftigkeit und dummdreistem Kalauer. Darüber nun liesse sich einiges sagen. Dass, erstens, die Hochschule nicht unbedingt als Gralshüterin der Heiterkeit gilt. Dass, zweitens, in der Erklärung des Wortwitzes zum einzig gültigen Humor ein Standesdünkel mitschwingt, den es mit erzieherischen Stockhieben auf die akademischen Finger abzustrafen gilt. Zur Not tun wir’s, drittens, mit dem Massstab, der das eine Medium stets am andren misst und dabei schilt: »Du bist ein schlechterer Film, weil du kein Film bist!«, und hoffen, dass der Stab an der Fehlhaltung gleich mitzerbricht. Eine ungleich interessantere Perspektive packte Christian Schmidt im Leitartikel einer ganz dem Witz gewidmeten Ausgabe des making games-Magazins in Frageform: Alle traditionellen Arten von Humor seien, so Schmidt, linear – warum also eifere das das Computerspiel als interaktives Medium ihnen nach und versuche nicht vielmehr, neue Formen zu erfinden, den Nutzer in die Entstehung von Humor einzubinden?

​In jüngerer Zeit hat das Computerspiel tatsächlich eine von ihnen nicht er-, aber doch zumindest gefunden – am Grund der Mottenkiste des cinematischen Witzes. Dabei brauchte das Computerspiel fünf Jahrzehnte, um auf das zu stossen, was für den Film am Ursprung stand: die drastische, überdimensionierte, brutalpeinliche Realität des Slapsticks alter Schule. Die Gründe mögen technischer Natur sein. Zwar gehörte die übersteigerte Physikalität immer schon zum Repertoire des Computerspiel-Witzes – die Absurdität, mit der sich schmerbäuchige Klempner schwerelos in die Lüfte erhoben oder staksig animierte Kontrahenten sich bis aufs Blut die Hucke vollhauten, kann (ausser einigen Jugendschutzorganisationen) niemand ernst nehmen. Doch erst im neuen Jahrtausend, das die flächendeckende Verbreitung von Havok&Co. mit sich brachte, fanden die Computerspiele zum Grundeigenen des Slapsticks: Zu einem neuem Verhältnis zum Körper, der dank Physik-Engines dynamisch deformiert und malträtiert werden konnte, wie es die Schauspieler cum Stuntmen cum ewigen Opfer in der »Goldenen Ära« der Komödie vorgemacht hatten. Während diese in den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts aber ihres Unglücks eigener Schmied waren, treibt das Computerspiel den Slapstick auf die Spitze: Eine Spur von Sadismus grundierte bereits im Kino den Spass am Groben, wo er aber eingebettet war zwischen Empathie und Voyeurismus. Mitleid und Schaulust sind auch wesentliche Faktoren im Computerspielwitz – der aber eine völlig neue schadenfrohe Qualität annimmt, indem der Spieler den Slapstick in die eigene Hand nimmt und damit auch zum agent provocateur des allgemeinen Un-, Irr- und Frohsinns wird.

Im Malstrom der alltäglichen Ungerechtigkeiten Wenn das Computerspiel die logische Konsequenz des Slapsticks darstellt, dann ist umgekehrt der Slapstick die Ultima Ratio des Computerspiel-Witzes: emergent, unberechenbar, ein unerschöpfliches dynamisches Pointen-Generierungs-System, geregelt durch wenige simple Gesetze: Die Newtonschen. Und gerade in der Manipulation oder doch wenigstens der grosszügigen Auslegung derselben liegt eine beliebte Möglichkeit, Humor zu generieren: Youtube ist voller Zeugnisse von Spielwelten, die nach einem Eingriff von Moddern in ein lustvoll peinigendes Chaos versinken. Im Pseudo-New York von GTA4 rennen kreischende Passanten um ihr Leben, um doch noch von einem jeglicher Reibungskraft entledigten Auto erschlagen zu werden; auf dem Insel-Archipel von Just Cause 2 verwickelt ein unzerstörbar gemachtes Seil zwei Flugzeuge in ein pittorekes Ballett der gegenseitigen Abhängigkeit. Doch auch jenseits des Eingriffs in die ehernen Gesetze der Welt finden Spieler immer wieder Möglichkeiten, die Realismus-Förderungsmassnahme Physik-Engine ad absurdum zu führen – aus dem bewussten oder unbewussten anarchischen Impuls heraus, die noblen Intentionen der bärbeissigen Entwickler zu unterwandern.

Nur wenige Entwickler machen gute Mine zu diesem bösen Spiel: Sie kreieren Figuren, die zum Helden herzlich wenig taugen. Nichtsdestotrotz sind sie ideale Sinnbilder für die Tragik des menschlichen Daseins, indem sie sich unablässig bemühen, nicht unterzugehen im Malstrom der alltäglichen Ungerechtigkeiten. Dass deren unfairste die Macht der Physik im Allgemeinen und das gespaltene Verhältnis zum eigenen Körper im Besonderen ist, und dass dieser Körper der Kontrolle des Spielers überlassen wird, macht die ganze Sache tragikomisch im besten Slapstick-Sinn.

Solche Helden von der traurigen Gestalt sind etwa die Protagonisten von Sumotori Dreams. Als Spiel ist Sumotori Dreams äußerst minimalistisch: Zwei Sumoringer stehen sich gegenüber, ein Knopfdruck löst das rituelle Abklatschen des Bodens aus, der Kampf ist eingeläutet. Von da an geht es nur noch darum, den Gegner zu Fall zu bringen, mit einem ein- oder beidhändigen Schubser oder einem Vollkontaktrempler. Fakt ist: Der Sieg ist Glückssache, und ein Kampf in wenigen Sekunden vorüber. Und dann beginnt das Spektakel. Die Sitte will es nämlich, dass der Kampf ausklingt mit einer Geste des gegenseitigen Respekts – doch nichts könnte in der Welt von Sumotori Dreams schwieriger sein als eine einfache Verbeugung. Die Ringer sind nämlich mit dem Körpergefühl eines volltrunkenen Geleehaufens gesegnet, der sich aufs Glatteis begeben hat: Das Aufstehen wird zum herkulischen Akt, die Physik-Simulation zum Teufelskreis, die vollzerstörbare Umgebung zur Stolperfalle. Den kubistischen Protagonisten dabei zuzusehen, wie sie taumelnd und torkelnd Wände und Tische zerdeppern, mal um mal umfallen und doch den Kampf mit den eigenen Gliedmassen nicht aufgeben, das ist so erhaben wie erheiternd – und umso schöner, als man mit kleinen Impulsen auf der Tastatur das Ungleichgewicht im Kampf Mann gegen Schwerkraft weiter zu Ungunsten des Ersteren verschieben kann. Oder nehmen wir den Titelhelden von Minotaur China Shop, der frisch aus dem Labyrinth entlassen ein neues Leben beginnen will – als Händler für die nach Feingeschirr gierende Tier-Mensch-Bevölkerung der griechischen Mythologie. Mit den besten Intentionen und der filigranen Silhouette eines 12 Tonnen-Hubstablers ausgestattet, macht sich der Minotaur unter fachkundiger Führung des Spielers ans Werk – und muss seinen Gewinn verrechnen mit seiner Tollpatschigkeit, der beim Navigieren durch den Porzellanladen unweigerlich das eine oder andere Tässchen zum Opfer fällt. Und dann beginnt das Spektakel: Die findigen Entwickler haben dem Minotauren nämlich eine »Zornversicherung« angedichtet, die umso kräftiger erstattet, je mehr zu Bruch geht. Aus dem Unfall wird also rasch ein Zerdepperungsrausch, der sich wenig darum schert, dass der Highscore eigentlich dazu ermuntert, eine Balance zu finden zwischen Handeln und Verschandeln. Spektakel pur von Anfang bietet dagegen Octodad, den sein studentisches Entwicklerteam mit laserhafter Präzision charakterisiert hat: »Liebevoller Vater. Fürsorglicher Ehemann. Insgeheim Oktopus.« Ein ambitionierter Kopffüsser hat sich als Oberhaupt in eine menschliche Familie eingeschlichen und verrichtet die Aufgaben, die ihm mit seiner neuen Rolle zugewachsen sind (Ballspielen, Kinder beruhigen, Küche aufräumen) – stets darum bemüht, den Schein des Gutbürgerlichen zu wahren. Was nun aber wesentlich kompliziert wird durch die zweite Familienzugehörigkeit, die nämlich zu den Wirbellosen: Octodad läuft nicht, er kriecht aufrecht. Octodad wischt nicht, er schlingert. Und Octodad räumt nicht einfach den Kühlschrank aus, wäscht Geschirr ab oder spielt Fussball mit den Kleinen: er tastet sich, Arm für Arm für Arm, langsam an seine Aufgabe heran. Eine Herausforderung auch für den Spieler, seinem kongenial tollpatischen Assistenten, der dank glorreich umständlicher Maussteuerung körperliche Anteilnahme an den unbeholfenen Fauxpas des Kraken nimmt – ein Spielgefühl, irgendwo auf halber Strecke zwischen Amusement, Frustration und Empathie. Die gute Gesellschaft Dabei teilen Ringer, Minotauren und Kraken weit mehr als ihre desolate Kommunikationsfähigkeit mit den eigenen Extremitäten. Allesamt sind sie Studierendenprojekten entsprungen oder Webbrowsern, alle kosten sie den Spieler wenig oder gar nichts, und man braucht selten mehr als einige knappe Minuten, um an eines ihrer Enden zu kommen. Es sind Spiele, die man gemeinhin »klein« nennt, oder auch einen »Game-Gag«, womit man sie zugleich beschrieben und auf ihre Ränge verwiesen hat. Entscheidend aber ist – dass sie sich auf diesen Rängen wohl fühlen. Nicht zuletzt, weil sie sich dort zu illustren Vorgängern gesellen.

Der herablassende Blick auf den Slapstick ist so alt wie der Slapstick selbst. Wie Donald Drafton in „Chase and Pie“ schreibt, wurde der Stummfilmkomödie der 20er-Jahre bereits von Zeitgenossen der Spielfilm gegenübergestellt. Mit dem Verdikt, sie sei nichts als primitive Pointen, »throwaway gags«, die nicht einmal in eine kontinuierliche Handlung eingebettet seien – ein Vorwurf, der im Nachhinein als Snobismus entlarvt wurde und im Übrigen die Marx Brothers nicht daran hinderte, Duck Soup zu produzieren. In einem Milieu, dessen cinephiler Horizont sich daran bemisst, dass es immer noch auf den Citizen Kane des Computerspiels wartet, kann eine solche Aufgeklärtheit aber natürlich nicht vorausgesetzt werden. Und so müssen die genannten Spiele sich durchaus den Vergleich mit dem AAA-Blockbuster gefallen lassen, in dem sie ähnlich bescheiden dastehen wie einst die frühe Komödie: Sumotori Dreams etwa hat keine Geschichte, es ist nicht mehr als die beliebig wiederholbare, jedes Mal neue Repetition desselben Kampfes. Minotaur China Shop seinerseits erdet seine absurde Ausgangslage in einer von Beamtensprache und fehlgeleiteter Betroffenheit strotzenden Texteinblendung zu Beginn des Spiels; danach jedoch folgt Tag auf Tag, und nach einer Woche ist dann auch gut. Die Technik hat die Gattung auch insofern begünstigt, als im Web derartige Inhalte ohne grossen Aufwand an das Publikum gebracht werden können – kostet nix, will nid viel, ist aber nicht nix: »Videogame-Gags« – ihret- und meinetwegen gerne, so lange die Pointe zündet und der Witz gut erzählt ist. (Was er ist.) Zumal Newtons überforderte Kinder im 21. Jahrhundert aus ihrer Konzentration auf das kleine (Un-)Glück eine Stärke schöpfen, die bewegtere Gemüter auch ihren Vorgängern zuschrieben: Jerry Lewis wurde Ende der 60er-Jahre gefeiert von studentischen und cinephilen Kreisen als Vertreter des Anti-Establishments, seine Filme als anarchische Entgegnung zum angestaubten Filmkanon mit seiner erzkonservativen Darstellung der vermeintlichen Realität. Auch wenn diese Ansicht dem Snobismus auf umgekehrte Weise eben so nahe steht wie die überhebliche Verachtung des Slapstick-Humors, ist eine Projektion auf die digitalen Nachfolger verlockend: Dass Octodad und der Porzellan-Minotaurus ihrer Grobschlächtigkeit zum Trotz bona fide subversive Faktoren sind, scheint jedenfalls offensichtlich.

Ihre Existenz allein ist eine Provokation für die eingeschliffenen Sitten und Bräuche im Videospiel-Land: Inhaltlich stellen sich in asketischer Kargheit gegen die Stopf-Mentalität der Feature-Grosstuer. Persönlich sind sie die fleischgewordene Unzulänglichkeit, das Gegenteil von Eleganz, Anti-Helden im Wortsinn – wenn sie ihre Artgenossen auch beneiden mögen um ihre absolute Beherrschtheit und die ihnen überall bereit stehenden Stützräder, so wirken sie auf sie doch befremdlich. Sie selbst haben gelernt, sich mit der Niederlage zu arrangieren und überwinden sie im Aufrappeln, statt im Rewind und Reload. Und auch der Spieler muss lernen zu akzeptieren, für einmal ein Alter Ego vor sich zu haben, das zur präzisen Kontrolle schlicht nicht fähig ist. Die Slapstick-Spiele sind, quasi qua Charakter, das, was Douglas Wilson vom Copenhagen Game Collective jüngst als »abusive game design« beschrieben hat: Spiele, die es darauf anlegen, den Spieler zu provozieren und zu frustrieren. Mit therapeutischer Wirkung: »I think abusive game design can help humanize gameplay. It confronts the conventional and reminds us that play is something deeply personal. […] As I see it, abusive game design is a reaction against both ‘user-centered’ design, which privileges the player, and the ‘auteur’ paradigm, which privileges the designer. Abusive game design, at least when it's successfully dialogic, is all about the dance between player and designer.« Dem möchte man nichts hinzufügen, außer: unsere Helden von der traurigen Gestalt. Zu dritt tanzen wir also, tanzen einen Tanz, bei dem wir uns ständig auf die Füsse treten, bei dem es uns manchmal auf die Schnauze haut. Und doch: Wir fallen auf die Schnauze. Wir akzeptieren. Wir kommen wieder hoch. Und wir lächeln dabei.

 

Dieser Text erschien ursprünglich auf titel-magazin.de.

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