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  • Writer's pictureChristof Zurschmitten

Watch out, it’s a trap! Jonathan Glazers "Under The Skin"

Updated: Feb 16, 2021


KRITIK von Jonathan Glazers "Under The Skin", einem der seltenen Filmen, die man sogar im übervollen Rahmen eines Festivals unverkennbar als bleibend erkennt.

Scarlett Johansson spielt ein sonderbares Wesen, das einsame Männer mit dem Versprechen auf Sex in einen fatalen Hinterhalt lockt. Doch wer sich von Under The Skin eine Neuauflage von Species mit einem der wenigen echten Sexsymbole des Gegenwartskinos verspricht, ist dem Film bereits in die Falle gegangen. An einem Festival, an dem die genüsslich inszenierte Verunstaltung und Vernichtung des menschlichen Körpers zum Alltag gehört, sind sich die Zuschauer naturgemäss einiges gewohnt. Der dem Grotesken zugeneigte Geist ist willig, das Sitzfleisch stark am NIFFF, und auch wenn die Samstagabendvorstellungen ein breiteres Publikum anlocken, war doch äusserst ungewöhnlich, was sich hier abspielte: Dutzende von Sitzen leerten sich über den Verlauf eines Films, der nicht einmal sonderlich gewalttätig ist und in dem sich Johansson freizügiger gibt als je zuvor. Was war da los? Jonathan Glazer war los. Glazer ist der Regisseur von Sexy Beasts und Birth, zwei durchaus respektierten und sehenswerten Filmen. Dass er dennoch in erster Linie bekannt ist für Videoclips und Hochglanz-Werbespots, spricht nicht gegen diese Filme, sondern für die geradezu biblische Wucht der Bilder und Töne in diesen Kurzformaten, in denen Autos an Passanten zerschellen und Mauern unter der heranstürmenden Euphorie von Jeans-Trägern in Stücke gehen: Wer diese Bilder gesehen hat, vergisst sie nicht mehr. Glazer ist offensichtlich ein Mann fürs Ikonische.

In Under The Skin macht er von der ersten Sekunde an keinen Hehl daraus: Die Leinwand wird gleissend hell, unter pulsierenden Klängen entwickeln sich langsam Bilder, die zwangsläufig Wörter aus der Rumpelkammer des Kritikerwortschatzes hervorlocken: Obskur, ominös, opak, um nur in der verwaisten „O“-Abteilung zu stöbern. Eine Aura, eine Sphäre, ein Etwas wird umkreist, bis sich die Form wandelt zu einem Augapfel, der Scarlett Johansson in den Blick bekommt. Sie ist nackt, aber nicht das ist es, was den Blick fesselt, sondern der Raum, in dem sie sich befindet: noch nackter als sie, weiss, ohne Boden, Decke, Wände, ein Raum ohne Dimensionen. Neben (vor? hinter? unter?) Johansson ist eine zweite Frau, offensichtlich zu Tode verängstigt, weinend, hilflos. Johansson zieht die Frau mit unbewegter Miene aus, und sich ihre Kleidung an. Sekunden später wird die Frau von einem Motorradfahrer wie ein Sack Fleisch aufgeladen und entsorgt. Das ist Under The Skin: unterkühlt, brutal, abstrakt, und all das wird nicht besser werden. Und warum besser werden, wenn man von der ersten Einstellung an einer der interessantesten Genre-Filme der letzten Jahre ist? Oder anders: Under The Skin verhält sich zu Species, dem anderen Film um eine ausserirdische Venus-Männerfalle, exakt wie 2001: A Space Odyssey zu Star Trek. Verwechslungsgefahr besteht höchstens auf ein Lichtjahr Distanz, aus der die Plot-Beschreibung zu zwei vagen Sätzen zusammenschrumpft. (Dass das NIFFF genau diesen Vorteil ausgenutzt hat, um ein paar Tickets mehr zu verkaufen, mag man ihm nicht übel nehmen.) Alles Übrige aber ist anders, und zwar reichlich. Under The Skin will nicht eine Pfütze aus Adrenalin und Testosteron im Kinosessel zurücklassen. Under The Skin will vor allem eines: mit dem „alien“, dem Fremdartigen also, im „Alien“ radikal ernst machen. Dies ist ein über weite Strecken durch und durch kalter und kaltblütiger Film. Bei aller Nacktheit ist Johannson entschieden kein „sexy Beast“, und nichts, aber auch gar nichts, ist „erotisch“ hier. Dafür gelingt es Glazer und Johansson aber tatsächlich, neue Bilder und Stimmungen in ein Genre zu bringen, das – wie gerade an einem dem Generischen verpflichteten Festival wie dem NIFFF deutlich wird – selbst talentierte Regisseure oftmals nur aktualisieren, aber nie erneuern können. Die einen, vordergründig weniger spektakulären Bilder wurden von einer versteckten Kamera vom Beifahrersitz aus eingefangen, als Scarlett Johansson in einem abgewetzten Mantel und einer filzigen Perücke männliche Fussgänger in Glasgow ansprach. Die anderen Bilder, in denen eine Handvoll dieser brünftigen Männer in abstrakten Arrangements und entbeinten Farben schliesslich wortwörtlich untergehen, sind zweifelsohne auffälliger; sie sind Glazers kürzeren Arbeiten näher, oder, wenn man so will: ikonischer. Aber auf ihre Weise sind die ungleich nüchterneren Aufnahmen von Passanten, die um die Gunst einer bis zur Unkenntlichkeit upgefuckten Johansson buhlen und dabei nicht das mindeste Gespür dafür zeigen, dass Johansson ihrerseits demonstrativ unmenschlich (und sehr überzeugend) jegliche Empathie ausblendet, nicht minder irritierend. Und Under The Skin will irritieren, bewusst – und erfolgreich, misst man es an den leergeräumten Sitzen in Neuchâtel.

Die vorzeitig Ausgeschiedenen verpassten, wie Glazer schliesslich doch noch mit wenigen Strichen und noch weniger Worten eine rudimentäre Handlung anstösst, die diese Irritation aufnimmt und umdreht. Das Johanssonsche Wesen beginnt allmählich, sich in seine menschliche Verkleidung einzuleben, und flüchtet schliesslich vor der Existenz als être fatale, die ihm zugedacht ist. Das Alien, das lernen will, was es bedeutet, Mensch zu sein: ein oft genug beschrittener Genre-Pfad, auf dem die Sentimentalität an allen Ecken und Enden lauert. Doch Glazer liegt es fern, die Fremdheit, der er sich mit Under The Skin mit (falscher) Haut und Haaren verschrieben hat, zugunsten von Pathos zu verraten: Johanssons plötzlich ohnmächtig und orientierungslos gewordenes Alien muss nur allzu schnell lernen, dass sich seine Andersartigkeit nicht so leicht einholen lässt. (Insofern ist einer der nächsten Seelen(los)verwandten von Under The Skin wohl Daft Punks ebenfalls radikaler Electrorama, auch wenn dieser wärmer ist und verspielter mit dem Genre-Schrott flirtet.) Immerhin wird die gehemmte Vermenschlichung so weit zugelassen, dass Momente warmen Humors möglich werden, ja sogar solche zögerlichen Mitgefühls – wenn nicht seitens der Figuren, so doch seitens der Zuschauer. Denn auch wenn die Distanz bis zum Ende zu gross bleibt, als dass wir mit Johannsons Alien fühlen konnten, so fühlen wir doch für es. Für einen „ikonischen“ Film, der auch als reines Formexperiment seine Daseinsbereichtigung hätte, ist dies doch bemerkenswert.

 

Dieser Text erschien ursprünglich auf nahaufnahmen.ch, im Rahmen der Berichterstattung über Neuchâtel International Fantastic Film Festival, über das ich jahrelang berichtet habe. (Und künftig wieder werde.) Wer mehr lesen will über meine Abenteuer im Reich des Durchgedrehten, kann dem entsprechenden Schlagwort folgen.

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