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  • Writer's pictureChristof Zurschmitten

Wohin man wollen soll

Updated: Feb 16, 2021


SKIZZE über ein verlängertes Wochenende in München, Second Order-Geselligkeit und Don Quijotes finale Einsicht.

Ein verlängertes Wochenende, das heiss war. Zwingend heiss, gewissermassen, Stillhaltewetter, Flüssigkeitshaushaltregelwetter. Gutes Wetter für diese Stadt.

Sie ist, wenn man so will, das Gegenteil von Rom, und als solches für einmal sehr angenehm: Wo Rom ständig anhält zur Überforderung, da bleibt München… abstrakt. Die Stadt hat ihre Bilder, aber sie sind lose, sie gelten Prinzipien, nicht Gebäuden, Stätten oder Sehenswürdigkeiten.

Es ist der absolute Ausnahmefall einer Stadt, in der man einen Reiseführer nicht zunächst öffnet, um zu erfahren, wie man „dorthin“ kommt, sondern um zu lernen, wohin man eigentlich wollen soll. Wohin wir wollten: den Prinzipien nach, und dorthin, wo vom Reichtum der Stadt profitiert werden kann, der, und auch das ist eher selten in von uns besuchten Städten, in erster Linie gegenwärtig ist. (Darin könnte München Zürich ähnlich sein. Nur darin.)

Die Pinakothek der Moderne schreint etwa in jeglicher Hinsicht die Residenz in den Schatten zu stellen… Wir kamen nicht weiter als zu Kirchner, seinen Farben, seinen Ausbrüchen von Ausdruck, die wortwörtlich, explodierten auf alle möglichen Seiten hin. Kirchner:

"Etwas vollkommen Fertiges zu produzieren hat nie Reiz für mich gehabt."

Auch unser Besuch im Museum blieb unfertig, überwältigend (das einzige Mal in München, das dieses Wort in Anschlag hätte gebracht werden können), wir verzichteten auf August Sander und David Wrigley und widmeten uns, notgedrungen, den verschommeneren Bildern: Die Worte, die an München haften, sind nun einmal eben doch: Prosit und Gemütlichkeit. Es ist aber, und das war die vielleicht beste Erkenntnis des Wochenendes, nicht zwingend peinlich, sich darauf einzulassen. Wenn oftmals eine Art Widerwille gegenüber diesen Begriffen in ihrem uftatahaften Zwangscharakter aufkommt, dann gilt er meistens dem paradoxen Phänomen, dass Leute lange Reisen auf sich nehmen, in der Vorstellung, das sich Geselligkeit und Gemütlichkeit herbeifeiern liessen, wenn nur genügend Leute sich genügend anstrengten.

Dass dies aber ursprünglich ein natürlicheres, ein notwendigeres Zusammentreffen war, ist tatsächlich manchmal noch spürbar, aller kultivierter Unkultur zum Trotz: Bei 35 Grad wirkt das Sitzen unter den Bäumen, an Tischen, denen Privatheit fremd ist, eben nicht nur wie eine jener nachbuchstabierten Nachholerfahrungen, auf die man als Tourist spezialisiert ist, sondern als Teil des Lebens dieser Stadt, die in ihrer Bierseligkeit tatsächlich auf diesen Einheitsbänken für alle, und alle zugleich, Platz zu finden scheint.

Insofern wird die Erinnerung an München, neben allem anderen, auch die Erinnerung an das Sitzen sein, an das Zuhören, und daran, dass man sich nahe war.

…und vielleicht , nur vielleicht, wird die Erinnerung auch dieser Begegnung im Hauseingang gelten, bei der ein Mann unter wüsten Flüchen auf die Bewohner der Stadt und sich selbst die Einsicht mit zwei Fremden teilen muss, dass München teuerste Einkaufsstrasse kein Ort ist, um sonntagsabends um neun im Clownkostüm Ballonfiguren zu machen.

Es ist seltsam kathartisch und verstörend zugleich, Don Quijote aufgeben zu sehen.

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