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  • Writer's pictureChristof Zurschmitten

Die Kraft der Bilder

Updated: Feb 16, 2021


MONSTER-INTERVIEW mit Till Kleinert zu seinem Film "Der Samurai". Thematisiert: Genrekino und das Aufwachsen in der Provinz, Sexismus auf Fantasy Film Festivals, die deutsche Filmlandschaft, Computerspiele und Asia Extreme, und eigentlich alles andere, was sonst noch zählt.

Der Samurai ist einer der interessanten deutschen Filme des Jahres: Eine androgyne Gestalt schlägt über den Verlauf einer traumschweren Nacht gewaltsam Breschen in die Selbstverständlichkeit eines Dorfes, lässt dabei schwallweise Blut fließen und die Popkultur aus den verrufensten Ecken der Erde herein. Mit beeindruckender Selbstverständlichkeit verschmilzt Till Kleinert Märchen und Genre-Kino, Coming Out-Drama und Splatter und siedelt sie um auf den für derartige Experimente bislang wenig fruchtbaren Boden der deutschen Provinz – eine Souveränität, die umso mehr verblüfft, als es sich bei "Der Samurai" um seine Abschlussarbeit für die dffb handelt. In einem ausführlichen Gespräch äußerst sich der Jung-Regisseur über sein Setting, seine Einflüsse, die Einstellung von deutschen Filmhochschulen zum Genre-Kino und die spannende und angespannte Rezeption seines Filmes im Festivalzirkus.

Setting

Ein Aspekt, der den SAMURAI abhob von den anderen Filmen am NIFFF, war zweifelsohne das Setting, ein deutsches Dorf. Du hast mehrfach angemerkt, dass DER SAMURAI autobiographische Züge trägt. Bist du selbst in einem Dorf aufgewachsen, bis du irgendwann deinen inneren Wolf entdeckt hast und vom Dorf wegzogen bist? Schon auf deine erste Frage muss ich mit einer potentiell enttäuschenden Antwort aufwarten: tatsächlich komme ich mitnichten vom Dorf, sondern bin im Gegenteil als gebürtiger Ostberliner so ‚Stadt‘ wie es in der damaligen DDR nur möglich war. Die autobiographischen Bezüge sind aber trotzdem da, sie sind nur eher thematisch als räumlich zu verorten. Die Verstockt- und Verklemmtheit unseres zweifelhaften Helden, ausgelöst durch das Gefühl des ‚Andersseins‘ in einem als feindselig wahrgenommenen, von Normierungsdruck und klassischen Männlichkeitsritualen dominierten Umfeld, kommt direkt von mir. Auch Jakobs Versuch, sich diesem nicht idealen Umfeld zu entziehen, indem er sich ihm quasi auf institutioneller Ebene andient, sieht mir ähnlich; ich erinnere mich zum Beispiel daran, wie ich in meiner Jugend Ferienlagerfahrten mit Gleichaltrigen dadurch überstanden habe, dass ich mich bei den Betreuern lieb Kind gemacht habe und von ihnen im Gegenzug zu einer Art ‚Hilfsbetreuer‘ ernannt wurde – eine privilegierte Funktion, die mir eine gewisse Ruhe vor den Hackordnungen meiner Altersgenossen verschafft hat. Homoerotisches Begehren hat ganz sicher auch seinen Teil zu meinem schwierigen Verhältnis mit männlich dominiertem Gruppenverhalten beigetragen – ich hoffe das ist jetzt kein Spoiler! Im Gegensatz zur Filmfigur Jakob war ich mir dieses verwirrenden Umstands allerdings recht früh bewusst. Jakob ist im Film ja größtenteils damit beschäftigt, derlei Dinge vor sich selbst zu verbergen – bis der ganze aufgestaute Frust sich dann eben doch auf ziemlich extreme Weise Bahn bricht. Solche Erfahrungen sind nicht Dorf-exklusiv, sie lassen sich aber meiner Meinung nach als Fiktion im ländlichen Raum anschaulicher und zwingender erzählen. Überhaupt scheinen mir Dörfer als mythische Angst- und Sehnsuchtsräume seit frühester Kindheit viel näher zu liegen als die irgendwie profanen, durch ein Übermaß von allem – handelnden Figuren, Lebensentwürfen, Optionen – geprägten Stadtlandschaften Berlins. Das war Alltag, aber die wochenendlichen Besuche bei meinem Großvater im Barnim, einer waldreichen Region im Norden von Berlin, oder die sommerlichen Bootstouren an die mecklenburgische Seenplatte, waren aufregend, mystisch aufgeladen. Als recht scheues, ängstliches Stadtkind hatte ich dabei meine Probleme mit allem möglichen Dingen: Brennnesseln, Insekten, Spinnen, Tieren allgemein. Der größte Horror war für mich, dass ich einmal in den Sommerferien auf ein vom Bauern vorbeigebrachtes Pferd steigen sollte. Ich bin ins Haus gerannt und erst rausgekommen, als das Tier und sein Besitzer wieder verschwunden waren. Ich war generell am liebsten drin, im Schatten, und habe gelesen, z.B. Abenteuer- und Indianerromane. Trotzdem würde ich behaupten, dass ich ausgesprochen gern auf dem Land war.

Der Film war für mich klar erkennbar nicht nur als dörflich, sondern auch als spezifisch deutsch dörflich – diese Konkretheit scheint Genre-Filmen in der Regel gut zu tun, da sie das Generische erden. Bemerkenswerter Weise habe ich mich aber mit Bekannten aus dem französischsprachigen Teil der Schweiz unterhalten, die kritisierten, der Ort sei für sie zu wenig greifbar geworden. Wie bewusst hast du dich dieser Problematik gestellt? Hattest du versucht, zwischen Lokalkolorit und Kitsch die Balance zu halten oder kam diese durch deinen Hintergrund und den Drehort quasi „natürlich“ zustande? DER SAMURAI ist ja im Großen und Ganzen kein ausgesprochen realistischer Film – er ist aber an tatsächlich existierenden Orten gedreht worden, welche wie von dir beschrieben ihr Kolorit ganz automatisch mit einbringen. Aus dem Kontrast zwischen diesem eher bodenständigen Flair und der Überdrehtheit der Geschichte entsteht eine eigentümliche, manch einer würde auch sagen ‚trashige‘ oder ‚campe‘ oder ‚kitschige‘ Reibung, die ich grundsätzlich spannend und begrüßenswert finde. Dass der Schauplatz der Handlung für manchen vielleicht ein bisschen schwer greifbar bleibt, kann damit zu tun haben, dass wir es faktisch nicht mit einem einzelnen Drehort, sondern einem aus verschiedenen Dörfern innerhalb eines Radius von etwa 30 Kilometern zusammengesetzten Amalgam zu tun haben. Ziel war es, durch diese Auswahl quasi die archetypische Quintessenz eines Barnimer Dorfes, wie es sich für mich als Kind zu Besuch bei meinem Großvater dargestellt hat, entstehen zu lassen; ein bisschen wie eine Modelleisenbahnplatte, die ja auch eine Art räumlich verdichtetes, hyperreell überhöhtes Best-of tatsächlicher Ortschaften darstellt. Dabei haben wir gewisse Aspekte überbetont (zum Beispiel die allgegenwärtigen Jägerzäune, die Gedrungenheit und Modellhaftigkeit der Gebäude, die Rottönung des Lichts der Straßenlaternen, das vermaledeite Hundegebell), während wir andere haben unter den Tisch fallen lassen (wie zum Beispiel den Großteil der Dorfbevölkerung – was sich aber auch mit meinem tatsächlichen Eindruck einer oft bedrückenden Menschenleere vor Ort deckt).

Es gibt aber auch eine tatsächlich für viele dieser Barnimer Dörfer typische Eigenheit, die es für Außenstehende, nicht nur aus dem Ausland, schwer macht, sie als ‚ganze‘, integre Orte zu erfassen: sie sind wahnsinnig weitläufig und zersiedelt, mit großen Waldflächen zwischen den Behausungen; und selbst in ihren dichtesten Ballungsräumen fehlt in den meisten Fällen ein zentraler Platz mit Kirche. An seine Stelle tritt wenn’s hochkommt eine Freiwillige Feuerwehr mit davor gelegener Festwiese bzw. Fußballfeld. Meinen Kameramann Martin Hanslmayr, der aus dem eher ländlichen Österreich kommt, hat diese Gottverlassenheit ganz fuchsig gemacht – er hat sich immer eine Kirche auf einem Hügel mit umliegenden Häusern gewünscht, damit man den Ort mal quasi auf einen Blick ‚ganz‘ ins Bild nehmen kann. Genau damit können diese Barnimer Waldsiedlungen aber einfach nicht dienen. Insofern würde ich schon sagen, dass wir sehr dicht am tatsächlichen räumlichen Gefühl der Region geblieben sind.

Wie wurden die Dreharbeiten, in denen ihr prothetische Köpfe und einen blutenden Torso herumgeschleppt habt, aufgenommen in einer solchen Region? Wurden die Dorfbewohner einbezogen in die Dreharbeiten? Ich glaube, von außen betrachtet hat sich unser Dreh nicht so sehr von einem x-beliebigen anderen unterschieden – das ist ja oft das Erschreckende, dass dieser klassische Film-Apparat so sehr mit seinen eigenen Abläufen und Ritualen verbunden ist, dass es für die Beteiligten auf der Basis des täglichen Arbeitens eigentlich keinen großen Unterschied macht, was inhaltlich gerade umgesetzt wird. Es macht natürlich sehr viel Spaß, sich mit den spezifischen Herausforderungen z.B. von Enthauptungsszenen zu befassen – die Technik dahinter ist aber am Set so omnipräsent, dass sich diese Situationen auch für den außenstehenden Zuschauer eher als interessantes organisatorisches Problem denn als bedrohlich darstellen. Das anfängliche Interesse der Leute verschwindet auch schnell, wenn sie merken, was für eine zähe und langwierige Arbeit so ein Dreh bedeutet; am wichtigsten war es für uns, bei den Nachtdrehs die Lautstärke zwischen den Takes so weit zu reduzieren, dass die Anwohner uns auch am nächsten Tag noch gern gegrüßt haben. Als Statisten sind Anwohner eigentlich nur in der – ich nenne es mal: Traumsequenz – mit dem Dorffest aufgetreten. Auf dem Fußballfeld haben ein paar Mitglieder eines örtlichen Vereins gekickt. Und die Motorradgang bestand zum Großteil aus einem MZ-Verein aus Waren an der Müritz. Unsere zweite Regieassistentin, die da aufgewachsen ist, hat die mobilisiert und sie sind extra zum Dreh angereist.

Popkultur als Filter und Einfluss

Kieron Gillen hat einmal die Stärke von Brian Lee O’Malleys Comic Scott Pilgrim wie folgt beschrieben: „This isn’t (just) gags. This is about how humans of a certain generation process reality. […] Point being, our art shapes how we relate to reality. Scott’s joy — and why it speaks to so many people — is that it understands the pulp through which we see the world, and assumes that’s as natural as blinking.” Diese Sätze beschreiben für mich auch eine zentrale Qualität von DER SAMURAI: Er zeigt nicht (nur) eine Handlung, mit der sich jemand, der wie ich in einem Dorf aufgewachsen ist, identifizieren kann; er verwendet zudem „Filter“, die für ein gewisses Zuschauersegment sehr vertraut sind. Insofern würde ich gerne auch über die popkulturellen Einflüsse sprechen. Über welche Kanäle hast du deine (pop-)kulturellen Einflüsse bezogen? Du gehörst ja vermutlich noch zu der Kohorte, für die das Internet nicht selbstverständlich verfügbar war? Das Internet hatte in den 90ern, die sicher meine prägende Popkulturphase waren, für mich keinerlei Relevanz. Fernsehen war auf jeden Fall wichtig, viele auch obskure Filme, die mich noch heute beschäftigen, habe ich zum ersten Mal im Spätprogramm auf unserem winzigen Schwarz-Weiß-Fernseher gesehen, z.B. DIE FAMILIE MIT DEM UMGEKEHRTEN DÜSENANTRIEB von Sogo Ishii irgendeines Nachts auf Vox. Den Film, besonders seine wunderschöne letzte Einstellung, zitiere ich immer noch gern. Ansonsten das übliche: STAR TREK, AKTE X usw. Comics habe ich viel gelesen, was sicherlich mit meiner eigenen Zeichenbegabung zu tun hatte – ich hatte lange die Vorstellung, später selber Comiczeichner zu werden. Zu Ostzeiten habe ich Mickymaus-Hefte aus dem Westen verschlungen, zu denen der Sohn eines Bekannten meiner Eltern Zugriff hatte. Später dann alles Mögliche aus dem Comicladen, erst die Franko-Belgier (ASTERIX, TIM UND STRUPPI, SPIROU), dann AKIRA. Alles aus dem DC Vertigo-Kosmos, gern unter dem Begriff Urban Fantasy subsummiert, hat mich ebenfalls stark beeindruckt: das SWAMP THING von Alan Moore, SANDMAN, HELLBLAZER, DIE BÜCHER DER MAGIE, solche Sachen. Kino natürlich – in den 90ern gab es ja tatsächlich noch sowas wie eine Programmkino-Szene in Berlin, wo man auch nicht mehr ganz aktuelle Filme im Rahmen von Reihen sehen konnte. Das haben meine Freunde und ich gern in Anspruch genommen, nicht aus filmhistorischem Interesse, sondern weil die Filme so geil waren – PAT GARETT JAGT BILY THE KID, THE KILLER, AKIRA, DELICATESSEN, BLADE RUNNER, TERMINATOR 2, eine Anime-Retrospektive im Eiszeit-Kino… Die mächtigste popkulturelle Wirkungsmacht ist und bleibt aber in meinen Augen die Musik. Gerade für jemanden wie mich, der sich – eine weitere biographische Parallele zu Jakob im SAMURAI – lange Zeit sehr geniert hat, in Gegenwart anderer zu tanzen, wirkt das Heilsversprechen der Überwindung der eigenen körperlichen Unbeholfenheit, der Selbst-Auflösung in der Kraft der Musik, sehr stark. Manchmal würde ich mir auch wünschen, dass Filme mehr wie Rock- und Pop-Musik wirken und konsumiert werden würden – dass man im Kino ein ähnlich selbstvergessenes Erleben haben könnte, wie wenn man auf einem Konzert seiner Lieblingsband laut mitsingt oder seinen Körper ekstatisch hin- und herwirft. Der Song am Ende vom SAMURAI, IT TAKES A FOOL TO REMAIN SAIN, der schwedischen Neo-Glam-Rock-Band The Ark, ist eines meiner absoluten Lieblingslieder. Es ist natürlich eigentlich super kitschig in seiner hymnisch-pathetischen Verteidigung des Außenseitertums – aber es meint, was es sagt, und es scheißt drauf, ob es sich damit lächerlich macht. Was ich auch toll finde: es ist bei Musik völlig in Ordnung, wenn etwas über eine bestimmte Nische hinaus kein Publikum findet, weil es zu spezifisch oder merkwürdig ist – es ist dann eben Underground, und niemand würde auf die Idee kommen, es allein deshalb als einer massenkompatiblen Stadionrockband wie U2 gegenüber minderwertig zu empfinden. Das ist bei Filmen viel schwerer vermittelbar – dass nicht alles hundert Millionen kosten und dass nicht jeder mit allem etwas anfangen können muss.

Hatten auch Computerspiele einen Einfluss auf deine Sozialisierung? Hat das Medium immer noch eine Bedeutung in deinem Alltag? Und denkst du, dass die Ästhetik deiner Filme vom Computerspiel allgemein beeinflusst wurde? Ich habe phasenweise sehr viel gespielt in meiner Jugend und tue es auch heute noch. Früher vor allem Action-Adventures wie ZELDA auf dem SNES oder MYSTIC QUEST für den Game Boy – das habe ich bestimmt 10-mal durchgespielt. Allgemein Japan-Rollenspiele, am eindrücklichsten und prägendsten sicher FINAL FANTASY 7 – dessen tragischer, androgyner Bösewicht Sephiroth als Spiegel- und Schattengestalt des Helden Cloud ist ja eigentlich auch unschwer im SAMURAI wiederzuerkennen, wie mir neulich mit Schrecken auffiel. Solche bombastischen, bühnenhaften Auftritte, die die Bösewichter in Videospiel-Cutscenes oft haben, haben die Inszenierung unseres ‚Endgegners‘, wenn auch auf viel kleinerer Leinwand, sicher auch nicht unwesentlich beeinflusst.

Aus heutiger, erwachsener Sicht erscheinen mir die meisten JRPGs spielerisch leider ziemlich formalistisch und gleichförmig – Dorf, Oberwelt, Aufleveln, Dungeon. Es waren immer eher die Plots und Character Designs, die mich an dem Genre gereizt haben; diese melodramatische, kosmische Überspanntheit der Erzählungen; eine sehr anziehende, fast schon geschlechtsneutrale, Kawaii- und Sexiness der Figuren. Das schlägt dann auch die Brücke ins Manga- und Animefeld, in dem ich mich ebenfalls sehr zu Hause fühle, und dessen Ästhetik DER SAMURAI sicherlich auch einiges verdankt. Was mich dann mit 19 wirklich gepackt und vermutlich auch meine ganze Horror-Affinität zur Blüte gebracht hat, war SILENT HILL. Das Erforschen von Traumata und Psychosen in Form von entsprechend ‚ungut‘ aufgeladenen Orten und Räumen, die erschlossen und deren Geheimnisse gelüftet werden müssen, ist ja seit jeher ein Hauptmotiv der unheimlichen Fiktion; aber während ich derartige Narrationen z.B. in Prosaform ästhetisch goutieren kann, mich aber selten wirklich fürchte, habe ich beim Spielen von SILENT HILL wirklich Schweißausbrüche erlebt. Man hält hier selber die Taschenlampe und muss allein entscheiden, ob man sich traut, die nächste Tür zu öffnen. Anklänge an diese Ästhetik des Erforschens mit Hilfe von Licht kann man auch im SAMURAI finden. Und dann ist da natürlich der Aspekt einer hinter den Dingen lauernden ‚Alptraum‘-Version der wirklichen Welt, die zwar im SAMURAI nicht ganz so eindeutig Besitz von der ‚Realität‘ ergreift wie in SILENT HILL, aber in Form des rot leuchtenden nächtlichen Dorfes, das im Gegensatz zur Tagwelt von der Herrschaft des Wolfs bzw. des Samurai geprägt ist, mitklingt. Heute spiele ich eigentlich ausschließlich DARK SOULS – das reicht aber auch. :) Das asiatische Kino scheint offensichtlich ebenfalls Spuren in DER SAMURAI hinterlassen zu haben… du hast in Neuchâtel erwähnt, dass es dir eher um die ästhetische und erotische Aura des Samurai (und samurai-ähnlichen Figuren) ging; aber ist der Einfluss des in den 90er aufgekommenen und unter dem Label Asia Extreme sehr grobschlächtig zusammengefassten Kinos auch direkter? (Um nicht zu fragen: wo kommt all das Blut her?) Mit deiner Vermutung, dass das End-90er Asien- und insbesondere Japan-Extremkino, das vor allem der Verleih Rapid Eye Movies in die deutschen Off-Kinos gebracht hat, einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen hat, liegst du natürlich goldrichtig. Also Filme wie DEAD OR ALIVE oder AUDITION von Takashi Miike, die Filme von Sabu und Shinya Tsukamoto, oder Hongkong-Action wie das herrlich überkandidelte, mein jugendliches Hirn in Fetzen sprengende HEROIC TRIO von Tsui Hark. Was mich an diesen Filmen am allermeisten gepackt hat, war der befreiende Irrsinn, von dem sie durchzogen waren – der Wille und Mut zur tonalen Inkonsistenz, zum Grellen und Vulgären, zum schlechten Geschmack; zum Lächerlichen, das dann wiederum die Pforten zum Erhabenen aufstößt. Amerikanische und europäische Filme schienen mir im Vergleich dazu oft sehr brav und aufgeräumt – so als würden seine Macher Haltungsnoten dafür erwarten, dass sie ihre Hausarbeiten gemacht und alle ihre künstlerischen Absichten schön in Ordnung gebracht haben. In den Asia-Extremfilmen pulsierte und wucherte im Vergleich dazu eine rohe, gefährliche, blutige Unruhe. Und, fragen wir geradeaus, weil die Frage so krude wie letztlich eben doch furchtbar interessant ist: könntest du Lieblingsfilme oder Lieblingsregisseure benennen? Klar. THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE von Tobe Hooper. THE WICKER MAN von Robin Hardy. DEAD OR ALIVE 2 von Takashi Miike. ALL ABOUT LILY CHOU-CHOU von Shunji Iwaii. NAUSICAÄ AUS DEM TAL DER WINDE von Hayao Miyazaki. VIDEODROME von David Cronenberg. TOKYO FIST von Shinya Tsukamoto. THE NIGHT OF THE HUNTER von Charles Laughton. PAN’S LABYRINTH von Guillermo del Toro. LET THE RIGHT ONE IN von Tomas Alfredsson. Und dann, quasi als Gegenprogramm, eigentlich beinahe alles von Steven Spielberg. Ganz besonders EMPIRE OF THE SUN – ein spektakulärer, aber auch sehr persönlicher Film, ’showmanship‘ im besten Sinne! Thomas Groh schrieb auf Perlentaucher, DER SAMURAI „lege verschüttete Linien des hiesigen Kinos wieder frei“. Ist dieser Rückbezug auf die besseren Zeiten des deutschsprachigen Genre-Kinoschaffens bewusst? Hast du eine Affinität für, sagen wir, die blutigeren Ecken des Bahnhofkinos, oder sind diese Einflüsse vernachlässigbar gegenüber dem asiatischen oder US-amerikanischen Genrekino? Sie sind definitiv vernachlässigbar. Ich bin ein zwar ein begeisterter, aber keineswegs sehr systematischer Filmgeschichts-Schauer – mir fehlt einfach das Wissen um tatsächlich bessere Zeiten der deutschen Genre-Produktion, von den 20er und frühen 30er Jahren mit Murnau und Lang mal abgesehen. Was nicht heißen soll, dass es sie nicht gegeben hat! Also, ich finde zum Beispiel die Filme von Roland Klick oder Jörg Buttgereit super; ich habe die aber nie so sehr als Vertreter bestimmter Strömungen wahrgenommen, sondern eher als singuläre Erscheinungen. Was aber wieder auch meinem mangelnden filmgeschichtlichen Horizont geschuldet sein kann! Ich lasse mich gern eines Besseren belehren. Das geheimnisumwobene Hofbauer-Kommando zum Beispiel scheint da ja in letzter Zeit einiges auszugraben. Es gibt ja eine kleine, aber tapfere Speerspitze deutscher Regisseure wie Dominik Graf und Christian Petzold, die dem Genre-Kino die Treue halten, auch wenn sie es auf eine eher intellektuelle und vor allem weniger physische Weise behandeln. Gibt es hier einen Einfluss, oder zumindest Interesse deinerseits an diesem Schaffen? Oder ist dies, und sorry im Voraus für den Kalauer, eher zu blutleer? Ich finde beide auf ihre Weise toll, wobei ich bei Petzold zugeben muss, dass ich seine Art über Filme zu sprechen manchmal begeisternder finde als die Filme selber. Aber das ist Geschmackssache. In jedem Fall finde ich es völlig bekloppt, wenn man solche eher intellektuell vermittelten Genre-Ansätze komplett ablehnt, nur weil man es selber anders machen würde. Dass auf Macher-Ebene überhaupt mal auf dem Niveau und in der Ernsthaftigkeit über die bösen Genres nachgedacht und gesprochen wird, ist doch irre! In die Diskussion könnte man eigentlich super mit einsteigen, anstatt sich immer nur zu mokieren, dass die Filme aus Deutschland alle so trocken und uncool daherkommen. Ein weiterer, wenn man so will, intertextueller Faden verläuft zum Märchen. DER SAMURAI zieht sich ja zurück in das gewissermassen ur-deutsche Motiv des Märchenwalds, und du hast bereits die unterschwellig (und nicht so unterschwellig) erotisch-sexuellen Konnotationen von Märchen wie Rotkäppchen und seinem Wolf erwähnt im Q&A. Der Film erinnerte aber auch an Vítězslav Nezvals wunderbaren (im mehrfachen Sinn) VALERIE: EINE WOCHE VOLLER WUNDER und Neil Jordans davon beeinflussten THE COMPANY OF WOLVES. Neben dem bereits im Märchen angelegten Motiv des ins Fantastische verschobenen sexuellen Erwachens scheint mir auch eine schwerer zu benennende, eher traumhaft atmosphärische Qualität als eine gewisse Gemeinsamkeit aufzufallen. Sind diese Einflüsse ein Hirngespinst meinerseits oder spielten die genannten Filme vielleicht eine Rolle für DER SAMURAI? Der Einfluss der beiden genannten Filme ist schon deshalb nicht von der Hand zu weisen, weil ich sie sehr gut kenne und mag – auch wenn ich sie bei der Arbeit am SAMURAI nicht bewusst als Referenz herangezogen habe. Letztendlich verhält es sich mit all diesen Einflüssen wohl einfach so, dass ich zum Großteil unbewusst auf sie zurückgreife – wie eine Sprache, die man ohne groß nachzudenken spricht, weil man sie seit frühester Kindheit gelernt hat, beginnend mit Grimms Märchen, die mir meine Mutter vor dem Einschlafen vorgelesen hat. Das von dir erwähnte ‚Traumartige‘ der Erzählung rührt sicher auch von meiner Methode beim Entwickeln von Geschichten her: es beginnt eigentlich immer mit einem oder mehreren starken, zentralen Bildern in meinem Kopf, die ich dann versuche, zu erweitern und in einen Sinnzusammenhang zu bringen – ein bisschen so, als würde man einen Traum im Wachzustand weiterträumen, während man ihn gleichzeitig deutet. Die bildhaften Zusammenhänge, die sich während dieses Prozesses herstellen, sind nicht immer ‚realistisch‘ im strengen Wortsinn, und auch manchmal nicht mit einer wasserdichten Plot-Logik vereinbar. In diesen Fällen tendiere ich dazu, der Kraft der Bilder zu vertrauen.

Kontext Filmhochschule

Fast alle Kritiker bemerken mit Erstaunen, dass DER SAMURAI als Abschlussfilm an einer deutschen Hochschule entstanden ist. Die Überraschung wurzelt einerseits sicher in der Ambitioniertheit und der Qualität des Films, aber andererseits auch darin, dass man, salopp gesagt, „mit so etwas nicht gerechnet hätte“ in einem solchen Kontext. Wie exotisch waren du und die anderen Schattenkante-Mitglieder an dieser Hochschule tatsächlich? Musste die Genre-Nähe gegen Widerstände durchgesetzt werden? Widerstände gegen unsere spezifischen Auffassungen von Genre und Genre-Nähe haben wir auf Schulebene eigentlich nie erfahren, eher im Gegenteil. Sicher ist unser Wille zum Genre nicht die Norm im Umfeld der dffb (ein solcher wird eher mit der Filmakademie in Ludwigsburg assoziiert), was dann auch dazu führt, dass einem die Dozenten eher wenig mit den besonderen Herausforderungen dieser Form helfen können. Keiner weiß so richtig wie Genre funktionieren soll, also versucht man es sich selber zusammenzureimen. Aber es hat nie jemand versucht, ’so etwas‘ zu verhindern oder negativ Einfluss zu nehmen. Zudem scheinst du für DER SAMURAI auch gewissermaßen einen erhöhten Schwierigkeitslevel in Kauf genommen zu haben: viele Nachtaufnahmen, zudem gibt es eine ganze Reihe von Special Effect-Shots… gab es warnende Stimmen, die dies für überambitioniert hielten? Ich hatte beim Schreiben nie das Gefühl, dass irgendetwas von dem, was wir uns überlegen, nicht umsetzbar sein könnte. Ich gleiche aber auch immer schon während der Drehbucharbeit das Geschriebene mit der Realität ab – so suchen wir zum Beispiel die Drehorte bereits viele Monate im Voraus, so dass ich im Zweifelsfall Szenen auf die Gegebenheiten vor Ort umschreiben kann. Und bei den Effekten entscheidet man sich eben irgendwann für ein Bild, an das man glaubt – und mit genug Vertrauen in dieses Bild und die Leute, mit denen man zusammenarbeitet, findet man dann auch irgendwie gemeinsam einen Weg, das umzusetzen. Das hat bisher eigentlich immer geklappt… Apropos Spezialeffekt: das Gros scheint noch der guten alten Buttgereit-Schule der handgemachten Prothesen und Kunstblutampullen zu entstammen. Täuscht der Eindruck? Falls nicht, war diese „dreckige Ästhetik“ eher Mittel (bzw. mangelnde finanzielle Mittel) zum Zweck oder die erste Wahl, etwa im Sinne einer Hommage? Der Eindruck täuscht nicht. So gut wie alle Effekte sind ’stofflich‘, beim Dreh am Set hergestellt worden, wobei es zum Teil in der Postproduktion digitales Compositing gab, um tatsächlich gedrehte Elemente zusammenzufügen, z.B. bei dem Kopf im Feuer, dessen Haare schon Feuer fangen, während er dem Helden noch zulächelt. Das hätte man Kaja, der Schauspielerin, bei allem Low-Budget-Wahnsinn doch nicht zumuten wollen. Es ist also ein Dummy-Head, dessen Haare brennen, der dann digital mit ihrem tatsächlichen Gesicht zusammencollagiert wurde. So Sachen. Dass diese Effekte stattdessen komplett digital hergestellt werden könnten, stand nie zur Debatte und wäre sicher auch mit einem Millionenbudget keine Option für uns gewesen. Vermutlich hätte man einiges, was jetzt etwas grob daher kommt, mit mehr Sophistication im Detail umsetzen können; dass die Spezialeffekte aber eher grotesk und aberwitzig daherkommen als lebensecht, ist schon bewusster Teil unserer ästhetischen Strategie. Wir wollten sicherstellen, dass der Zuschauer auch den Gewaltausbrüchen noch mit einer gewissen amoralischen Distanz und Lust folgen kann, also sich nicht auf den letzten Metern vor lauter Schreck und direkter Angegriffenheit von unserem Verführer, dem Samurai, abwendet. Positionierung des Films

Abgesehen von der Berlinale wird DER SAMURAI vor allem an Queer- und Fantasyfilmfestivals gezeigt. Das ist eine bemerkenswerte Kombination, und sie wirft auch eine Frage auf: Wie James Berclaz-Lewis festgestellt hat, ist Sexismus und Homophobie gewissen Spielarten des Genre-Kinos ebenso eingeschrieben, wie er von Teilen des Publikums an entsprechenden Festivals zelebriert wird. Auch am NIFFF beobachtete Berclaz-Lewis dies – und die Irritation, die DER SAMURAI für diese Zuschauer bedeutete. Hast du in dieser Hinsicht je negative Erfahrungen gemacht? Es gibt schon innerhalb der Horror- bzw. Genre-Crowd so eine Untergruppe, die sich, sag ich jetzt mal, durch einen eher regelverliebten, männlichen und heterosexuellen Blick auszeichnet, der vielleicht mitunter irritiert oder auch beleidigt auf abweichlerische Angebote schaut. Ich hab da – interessanterweise aber nie direkt ins Gesicht – schon vereinzelte Negativreaktionen mitbekommen, die sich zum Beispiel an der ‚Trashigkeit‘ (was immer das heißen soll) des Films aufhängen, oder an Uneindeutigkeiten wie z.B. daran, dass es keine zufriedenstellende Klärung darüber gibt, ob der Samurai nun ‚real‘ ist oder womöglich nur im Kopf unseres Helden existiert. Auch ein paar Leute, die sich mit einer mir unbegreiflichen Vehemenz an der Frage aufhängen, ob etwas freiwillig oder unfreiwillig komisch ist. Und solche, die sagen, dass es ja nun auch mal gut sei mit der ganzen schwulen Betroffenheit und dass das doch heute alles kein Problem mehr sei. Es stimmt aber auch, und das merkt man gerade auf den Phantastischen Festivals, dass es eine erstaunlich große Schnittmenge zwischen queeren und Horror-Sehbedürfnissen gibt: man teilt eine gewisse Lust an der Grenzüberschreitung, an der Überwindung eines durch Normierung geprägten Alltags, an der Erforschung und dem Feiern des Abseitigen. In Sitges, dem größten Phantastischen Filmfestival Europas, wurden wir zum Beispiel in einem Double Feature mit PIERROT LUNAIRE, dem neuen Film von Bruce LaBruce, programmiert. Insofern passt das alles doch irgendwie schon zusammen. Und zum allergrößten Teil sind die Reaktionen auf diesen Festivals auch sehr positiv. Es sind eher die Queer-Festivals, die etwas zurückhaltender auf den Film reagieren. Der Crossdresser als Angstgestalt und Bösewicht ist da in den Augen einiger sicher ein stark negativ aufgeladenes Motiv – wobei ich in unserem Samurai eigentlich vielmehr einen Erlöser als einen Unhold sehe. Ich glaube, es gibt im LGBT-Kino momentan eine große Tendenz zur Betonung der Gemeinsamkeiten mit der Mehrheitsgesellschaft, und das rigorose Zurschaustellen und Feiern des Andersseins, das lange Zeit bestimmend fürs schwul-lesbische Selbstbewusstsein war, gerät darüber ins Hintertreffen. Dabei wäre das für mich eigentlich eine viel höherwertige Form der gesellschaftlichen Akzeptanz, nicht nur in Bezug auf LGBT Menschen: eine tatsächliche Akzeptanz der Unterschiede, nicht nur eine Belohnung für die Anpassung an den Status Quo. Ich könnte mir vorstellen, dass der Film entsprechend schwer zu vermarkten ist. Lass uns zum Abschluss dennoch in die Zukunft blicken: Du hast gesagt, dass er immerhin eine limitierte Distribution in England erleben wird. Welche weiteren Möglichkeiten wird es geben, den Film zu sehen? Ist eine DVD-Veröffentlichung bereits absehbar? Der Film wird in Deutschland am 30. Oktober einen Kinostart durch die Edition Salzgeber erfahren und dann Anfang nächsten Jahres auf Blu-ray und DVD erscheinen, ähnlich wie auch in Großbritannien, dort im Vertrieb von Peccadillo Pictures. Zootrope bringt ihn in Frankreich ins Kino, in den USA und Schweden (!) wird es nächstes Jahr ebenfalls Releases geben, dort vermutlich nur Home Video. Der Rest wird sich zeigen. Momentan sind wir ja noch auf internationaler Festivaltournee, schauen wir mal, was sich in dem Rahmen noch ergibt.

 

Das Interview erschien ursprünglich auf negativ-film.de.

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